Presto Fortissimo
Sie sind ein namhafter Teilchen- und Astrophysiker und hauptberuflich in der Spitzenforschung tätig. Woher kommt Ihr Interesse fürs Klavier?
Bevor ich mich für die Physik entschied, wollte ich Konzertpianist werden. Meine Kinder spielen Klavier, ein Flügel bildet das Zentrum unserer Wohnung. An diesem Instrument sollte etwas gerichtet werden, und so lernte ich Laurent Bessières kennen, den Klavierstimmer der Pariser Philharmonie. Wir sprachen über die Klaviermechanik, und er fragte mich als Physiker, ob es eine Möglichkeit gäbe, dem Anschlag mehr Kraft zu verleihen.Warum braucht der Anschlag mehr Kraft?
Als Mozart und Beethoven ihre Klavierkonzerte schufen, wurden diese vor höchstens einigen hundert Zuhörern aufgeführt. Heute gibt es Säle, die bis zu 2.500 Besucher fassen. Auch die Orchester sind seitdem immer größer und lauter geworden. Die Klaviermechanik ist dagegen seit über hundert Jahren praktisch unverändert geblieben. Gerade bei schnellen Passagen, die sehr laut oder sehr leise gespielt werden sollen, sind die Grenzen der Physik ausgereizt. Der Pianist hat keine Möglichkeit, den Ton über diese Grenzen hinaus zu variieren.Wodurch sind die Grenzen definiert?
Zum einen gibt es selbst bei extremem Training eine natürliche Höchstgrenze der Fingerkraft, die man erreichen kann. Zum anderen ist die Klaviermechanik den Gesetzen der Physik unterworfen. Ihre wichtigsten Elemente sind in dieser Hinsicht erstens der Anschlagweg der Taste, zweitens das Hebelverhältnis, mit dem dieser Weg in die Bewegung des Hammers übersetzt wird, und drittens das Gewicht des Hammers. Der Anschlag wurde mit der Zeit schon verlängert, von etwa sieben Millimeter zu einem Zentimeter – mehr geht nicht, wenn man auch schnelle Passagen spielen will. Das Hebelverhältnis von fünf Millimeter lässt sich aus konstruktiven Gründen kaum variieren. Der Hammer hat mit einer Masse von zehn bis zwölf Gramm ebenfalls die Höchstgrenze erreicht. Mit noch mehr Gewicht würde seine Trägheit das Spiel behindern.
Wie kann man die Grenzen erweitern?
Die Idee ist, die Erzeugung des Klangs ganz vom Anschlag zu trennen und eine maschinelle Kraftquelle einzufügen. Das war mein Vorschlag an Laurent Bessières, und wir begannen, uns in dieser Richtung umzusehen. Schließlich stieß ich im Internet auf den Linearmotor LM 1247 von FAULHABER, nachdem ich eine große Zahl ungeeigneter Modelle aussortiert hatte. Dieser Antrieb erreicht eine extrem hohe Leistung und hat genau die richtige Größe. Er ist exakt so breit wie eine Klaviertaste! Es würde zwar auch mit einem Millimeter mehr oder weniger funktionieren, aber dieses Detail verstärkte das Gefühl, dass hier alles perfekt zusammenpasst.
Wie ging es weiter?
Im vergangenen Jahr konnten wir beim Centre National de la Recherche Scientifique ein Forschungsprojekt starten. Als Forschungsleiter am CNRS habe ich dort Zugriff auf hervorragende Spezialisten für Elektronik und Mechanik, die entscheidende Beiträge zur Verwirklichung unserer Idee leisten. Sie hätten sicher gleich gewusst, wo ich den passenden Motor finden kann, wenn ich sie gefragt hätte. Außerdem konnten wir die Unterstützung des Klavierbauers Stephen Paulello gewinnen, der in seinem Fach für außergewöhnliche Entwicklungen bekannt ist und uns in vielen Punkten hilft.
Wie funktioniert es technisch?
Wir befestigen einen Beschleunigungssensor am Hammerstiel, der mit dem Druck auf die Klaviertaste bewegt wird. Er erfasst die Bewegung des Anschlags sehr präzise in Stärke und Tempo. Sein Signal wird von einer elektronischen Steuerung, dem Controller, an einen Linearmotor übermittelt. Dieser übersetzt es extrem präzise in eine Bewegung des Hammers. Der Hammer sitzt auf der Achse des Motors, an derselben Stelle unter der Saite wie bei der herkömmlichen Mechanik. Ich möchte betonen, dass wir kein selbstspielendes mechanisches Klavier bauen wollen – das gibt es schon, und es produziert Klang, aber nicht wirklich Musik. Wir wollen stattdessen den Pianisten unterstützen und ihm neue Möglichkeiten eröffnen. Der Künstler behält die vollständige Kontrolle über den Ton. Wir sprechen vom assistierten Klavier.
Welche Vorteile bringt diese Assistenz?
Dank der externen Energiequelle können wir jetzt einige Dinge verändern. Das Gewicht des Hammers lässt sich problemlos auf fünfzig Gramm oder mehr erhöhen. Ein schwererer Hammer schafft ein größeres Klangvolumen, er kann durch die größere einwirkende Kraft ein breiteres Spektrum von Obertönen anregen. Wir können das Hebelverhältnis zwischen Anschlag und Hammerweg dynamisch verändern, zum Beispiel indem wir ein viertes Pedal einführen und damit die Kraft des „Hebelarms“ – also des Motors – vergrößern oder verkleinern. Damit bekommt der Pianist ganz neue Möglichkeiten, wenn er etwa sehr schnelle Passagen besonders leise oder laut spielen will. Wir können den Tastenweg nach den Vorlieben des Künstlers einstellen. Der Klavierstimmer kann alle Hämmer innerhalb von etwa zehn Minuten austauschen und so genau an die Bedürfnisse eines Pianisten anpassen. Bei einer herkömmlichen Mechanik erfordert eine solche Anpassung viele Stunden Arbeit.Ergibt sich aus dem Zwischenschalten von Sensor, Steuerung und Motor nicht eine Verzögerung zwischen Anschlag und Ton?
Eher das Gegenteil. Die herkömmliche Mechanik besitzt eine beträchtliche Trägheit. Bei leisem Spiel bewegt sich der Hammer zum Beispiel mit etwa 0,5 Meter pro Sekunde, beim Fortissimo zehnmal so schnell. Dieser Faktor 10 stört den Pianisten also nicht. Auch der Tastenanschlag selbst braucht etwa 10 Millisekunden, wenn man sehr schnell spielt und entsprechend länger bei langsamem Spiel. Die Reaktionszeit des Motors wird wohl deutlich unter 10 Millisekunden, eher sogar unter einer Millisekunde, liegen. Unsere Elektronik reagiert ebenfalls im Mikrosekundenbereich. FAULHABER hat das längste Intervall in unserem System gemessen, den Zeitverzug zwischen der Stromabgabe des Controllers und der Stromaufnahme des Motors. Er liegt im Bereich weniger hundert Mikrosekunden, also deutlich unter einer Millisekunde. Ich bin sicher, dass der Pianist keine Verzögerung spüren wird.Wie weit sind Sie mit dem Forschungsprojekt gekommen?
Wir haben letztes Jahr mit einem Monochord, also einer einzelnen Saite begonnen, um die Technik grundsätzlich auf ihre Machbarkeit zu prüfen. Wir wissen seitdem, dass wir den richtigen Beschleunigungssensor und den richtigen Motor gefunden haben. FAULHABER hat für uns eine beschleunigungsorientierte Steuerung entwickelt, die besser zum Instrument passt als die übliche Geschwindigkeitssteuerung mit dem Speed Controller. Wir sind jetzt dabei, die assistierte Mechanik im Detail zu entwickeln. Bis Juni möchten wir eine Oktave, also zwölf Töne, beherrschen. Wenn das erreicht ist, werden wir den ganzen Flügel mit der assistierten Mechanik ausstatten. Im nächsten Jahr würden wir gern das erste Konzert veranstalten.
Wie wichtig ist der Motor für das Projekt?
Ohne ihn hätten wir es gar nicht beginnen können. Noch vor einigen Jahren gab es keinen Motor mit den Leistungsmerkmalen, die wir benötigen. Er muss bei geringen Abmessungen sehr stark sein, extrem schnell beschleunigen und sich absolut präzise steuern lassen. Bei alledem muss er völlig geräuschlos arbeiten. Erst die Fortschritte der letzten Jahre, etwa bei den Neodym-Permanentmagneten, haben einen solchen Motor möglich gemacht, und natürlich die Entwicklungsarbeit von FAULHABER.