Karriere Presse Einkauf
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Herr Renner, erinnern Sie sich noch, unter welchen Bedingungen bei FAULHABER produziert wurde, als Sie 1983 dort anfingen?

Die Produktion am damaligen Standort in der Mozartstraße war durch manuelle Arbeitsplätze gekennzeichnet. In Schönaich wurden ausschließlich bürstenbehaftete Motoren hergestellt, deren Produktion in drei Abteilungen (Wickelei, Baugruppenfertigung und Fertigmontage) entsprechend dem Produktionsprozess organisiert war. Wir hatten meist viel mehr Anfragen und Aufträge als wir beliefern konnten. Wenn z. B. ein Kunde 100 Motoren bestellte (damals war das ein Großauftrag!), so konnten wir oft nur 50 Stück „zuteilen“. Im ganzen Unternehmen gab es damals keinen Computer. Die gesamte Planung der Einzelteile und Baugruppen wurde über Karteikarten organisiert. Es gab jeweils einen Karteikasten im Einkauf, im Lager und in der Fertigungsplanung. Alle Eintragungen in die Karteikarten wurden händisch vorgenommen. So gab es im Worst Case für das gleiche Teil vier Lagerbestände: einen im Einkauf, einen im Lager, einen in der Fertigungsplanung und noch den wirklich körperlich vorhandenen Bestand, der oft vor Auftragsbestätigung vom Fertigungsplaner vor Ort ermittelt wurde.

Interview mit Hubert Renner

Das heißt, die Nachfrage war größer als das Angebot?

Die Nachfrage nach FAULHABER Motoren stieg in dieser Zeit stetig an. Ein Meilenstein war als wir einen Auftrag über 700.000 Motoren, auszuliefern innerhalb eines Jahres, erhielten. Dies entsprach einer Verdopplung der Produktion. Das starke Wachstum und der damit sich positiv entwickelnde Geschäftsverlauf ermöglichte später den Neubau in der Daimlerstraße, den wir 1990 bezogen haben.

Wie hat die Produktion reagiert, um mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten?

Mit mehr Frauenpower und Manpower. Die Einführung einer sogenannten „Hausfrauenschicht“ war einer der Lösungsbausteine. Nach der bisher einschichtigen Produktion wurden damit weitere 4 Stunden pro Tag Produktionskapazität geschaffen. Dies war letztendlich der Einstieg in einen Zwei-Schicht-Betrieb. Es wurde Arbeitsplatz an Arbeitsplatz gereiht. Die Montagemitarbeiterinnen saßen teilweise Schulter an Schulter. Der Mercedes unserer damaligen Mitgeschäftsführerin, Frau Klingberg, musste mit leichtem Nachdruck aus der Garage entfernt werden, um dort umgehend zwei Arburg-Spritzmaschinen aufstellen zu können.

Gab es schon Wettbewerbsdruck zu dieser Zeit?

Anfangs weniger – aber unter anderem der schnell wachsende Markt brachte bald auch stark wachsende Mitbewerber mit sich. Aufträge wurden nicht mehr verteilt, sondern mussten gewonnen werden. Um die Kostenstruktur für erfolgreiche Preisverhandlungen zu schaffen, begann man, die Produktion systematisch und konsequent zu automatisieren. Nahezu alle Baugruppen und große Teile der Endmontage wurden innerhalb von 10 Jahren teil oder vollautomatisiert. Die Variantenzahl stieg stetig an. Kundenspezifische Antriebslösungen waren schon damals und sind noch heute Kern des Erfolgs von FAULHABER. Die enorme Anzahl von Teilen und Identnummern auf allen Stufen der Stückliste war mit Karteikarten nicht mehr zu organisieren – am Schluss standen 2 – 3 Karteikästen nebeneinander! Die Lösung war ein PPS-System, das wir 1991 einführten. Ab da ging ohne Computer gar nichts mehr.

Wie haben die Anforderungen des Marktes die Entwicklung neuer Antriebstechnologien beeinflusst?

Die wachsende Bedeutung der Elektronik auch in der Antriebstechnik und die mit wachsendem Volumen fallenden Preise der Elektronikkomponenten schufen neue Einsatzmöglichkeiten für Kleinmotoren. FAULHABER erhöhte die Kapazitäten der Produktentwicklung massiv und platzierte eine Reihe neuer Motorlinien. Diverse bürstenlose Antriebe, Flachläufer, Schrittmotoren, integrierte Encoder und die notwendigen Motion Controller und Speed Controller wurden elementare Bausteine unseres Produktportfolios. Für die Produktion führte dies selbstverständlich zu einer steigenden Anzahl von Montagelinien.

Wie ist es FAULHABER gelungen, eine so breit aufgestellte Produktion wirtschaftlich zu organisieren?

Die extreme Variantenzahl konnte nicht mehr mit Lagerbeständen von verkaufsfähigen Produkten wirtschaftlich organisiert werden. Die Lösung war die auftragsbezogene Fertigung (Production on Demand). Damit verbunden waren stark verkleinerte Losgrößen, die nicht über alle Stücklisten- Stufen wirtschaftlich automatisiert werden konnten. Zur Erhaltung einer wirtschaftlichen  Kostenstruktur haben wir die Produktionsstandorte in Ungarn und Rumänien gegründet und konsequent ausgebaut. Unser Geschäft war vom Motorlieferanten zum auftrags- und kundenspezifischen Antriebssystemlieferanten gewachsen.

Brachte die Produktion an mehreren Standorten nicht neue Probleme mit sich?

Für die Fertigungsorganisation stellte und stellt die auftragsbezogene Produktion über mehrere Standorte große Herausforderungen dar. Mit der „STANDORTSYNCHRONEN PRODUKTION“ haben wir uns dieser Aufgabe gestellt. Über Radar Charts haben wir die jeweilige Performance aller Standorte im Produktionsnetzwerk bewertet und konsequent verbessert. KVP Programme, Shopfloor Management, Kanban Strukturen, Reduzierung der Durchlaufzeiten, flexible Kapazitäten, U-Linien sind nur einige Merkmale. Besonders freut mich, dass unsere erfolgreiche Umsetzung der  standortsynchronen Produktion 2018 durch den 1. Platz bei der Wahl zur „Fabrik des Jahres“ in der Kategorie „Hervorragende Kleinserienfertigung“ bestätigt wurde.

Interview mit Hubert Renner Begrüßung

Wie wichtig ist FAULHABER die Qualifikation der Mitarbeiter über alle Standorte hinweg?

Jeder Mitarbeiter ist für uns eine wertvolle Investition. Jede Mitarbeiterin, die bei FAULHABER für 3 – 4 Jahre angelernt wurde, besitzt danach eine Multiqualifikation für mehr als 100 Arbeitsgänge. Dies wird konsequent an jedem Standort umgesetzt. Jede Produktion an allen Standorten wurde einheitlich ausgestaltet und organisiert. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die standortsynchrone Produktion. Ob in Ungarn, Rumänien, in der Schweiz oder Deutschland – sie erkennen sofort die markante FAULHABER Produktionsumgebung. Dazu gehört auch die systematisierte Ausbildung. Wenn Sie jemanden 3 Jahre ausgebildet haben, dann ist das ein absolutes Investment, weil es unglaublich lange dauert, bis das spezifische Knowhow mit der großen Varianz und den vielen unterschiedlichen Produktlinien so weit verinnerlicht ist, so dass man es produktiv nutzen kann.

Lassen Sie uns über die aktuelle Weltlage reden – wie krisenfest ist FAULHABER?

Darwin war überzeugt, dass nicht die stärkste Spezies erfolgreich sein wird, sondern die anpassungsfähigste. Diese Erkenntnis der Evolutionstheorie ist auch eine gute Leitlinie für Unternehmen. Auch wir bei FAULHABER mussten uns in der Vergangenheit immer wieder veränderten Rahmenbedingungen stellen.

Die COVID 19-Pandemie und ihre Folgen führten und führen zu einer nie gekannten Infragestellung der globalen Lieferketten; und damit meine ich nicht nur Toilettenpapier (lacht). Plötzlich waren und sind Materialien nicht mehr verfügbar. Lieferzeiten, z. B. für Elektronikkomponenten, verlängerten sich von bisher 16 auf 52 bis 104 Wochen – woher sollen wir wissen, welche Teile mit welcher Anzahl wir in 1 – 2 Jahren brauchen?

Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine schafft neue Unsicherheiten, besonders im Bereich von Rohstoffen und im Energiesektor. Für die Produktion und die Produktionsplanung, das Management von Kapazitäten, Material und für die gesamte Organisation stellen sich neuen Herausforderungen. Flexibilität, die schon oft von FAULHABER gefordert war, ist wieder gefragt und der  vielversprechendste Lösungsansatz. Dies wird einige Paradigmenwechsel notwendig machen. War „Just in Time“ in der Vergangenheit die Maxime der Industrie, werden nun zum Erhalt der  Lieferfähigkeit neue angepasste Vorgehensweisen notwendig.

Sie sprechen von Paradigmenwechsel – was konkret meinen Sie damit?

Reden wir z. B. mal über die Fertigungstiefe: Sind Teile und Produkte nicht sicher extern beschaffbar, müssen wir konsequent darüber nachdenken, ob wir sie innerhalb des Unternehmens selbst herstellen können. Verzahnungsteile, innenverzahnte Getriebegehäuse oder Drehteile sind bereits realisierte, erfolgreiche Beispiele. Weitere Teile sind in Überlegung.

Teile und Komponenten, die man nicht sinnvoll selbst herstellen kann, muss man bevorraten. Ein gutes Beispiel sind Halbleiter und Kugellager. Forecasting ist die Definition für Art und Volumen der Bevorratung. Flexible Kapazitäten in der gesamten Prozesskette sind notwendig, um unterbrochene Belieferungen zeitnah verarbeiten zu können.

In Zeiten der unsicheren Materialversorgung steht Lieferfähigkeit vor Kostenminimierung. Aufbau und Stärkung regionaler Zulieferer, Reduzierung der Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern oder Unternehmen, Installierung von Einkaufsverbünden, sind weitere Lösungsansätze.

Wir versuchen die Bedarfsveränderung der Märkte in allen Sales-Regionen frühzeitig zu verstehen und unsere Erkenntnisse in unser Forecasting, unsere Investitionen und Projekte einfließen zu lassen. So sichern wir die bestmöglichen Entscheidungen zur Materialbeschaffung, zum Kapazitätsmanagement und zum Produktionslinien-Upscaling.

Wie entscheiden Sie, in welche Bereiche investiert wird?

Wir haben es geschafft, eine funktionierende Kommunikation zwischen allen Sales-Verantwortlichen und Regionen aufzubauen – vom Außendienstleiter bis zum Top-Management steuern alle  Beteiligten wichtige Informationen bei, die uns helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Daraus leiten wir dann unsere Investitionsplanungen ab. Wir haben noch nie so viel investiert wie in diesem Jahr und und setzen diesen Weg in den Folgejahren fort.

Dabei hilft uns die homogene, familiär geprägte Gesellschafter-Struktur – für eine gute Idee standen bei FAULHABER schon immer die notwendigen Investitionen zur Verfügung. Dieses Vertrauen, das die Gesellschafter in das Unternehmen setzen, wird zurückgespielt durch das Vertrauen der Mitarbeiter in die Gesellschafter und das Unternehmen, das war und ist ein extrem wichtiger Erfolgsfaktor.

 Nehmen wir z.B. die Reinraum-Fertigung, mit der wir jetzt in Deutschland begonnen haben. Wir produzieren dort erste medizinische Produkte, die in den Körper implantiert werden, und Produkte für die Automation bei der Halbleiter-Fertigung – die müssen super präzise und klinisch rein sein. Wenn diese Projekte sich gut entwickeln, haben wir in 3 bis 4 Jahren vielleicht 50, 60, 70 Arbeitsplätze in der Reinraum-Fertigung in Schönaich.

Was glauben Sie, in welche Richtung die Reise für FAULHABER in Zukunft geht?

Aus meiner Sicht müssen wir die Herausforderungen, die wir gerade haben, als Chance begreifen. Dabei hilft uns unsere Ziel-Markt-Strategie, damit analysieren wir die zukünftig wichtigsten Wachstumsmärkte.

Das sind z. B. Robotik und Industrie-Automation. Wohin Sie heute auch schauen – egal ob Logistik, Agrarindustrie oder Medizin- und Labortechnik, die Robotik ist ein Riesenmarkt und alle Roboter brauchen Motoren, und sie brauchen Motoren mit geringem Stromverbrauch, weil mobile Roboter möchten in der Regel kein Kabel hinter sich herziehen, sondern der möchte flexibel und frei im Raum agieren, das heißt, da muss ein Akku rein. Wenn ein Akku drin ist, dann ist der Stromverbrauch ganz entscheidend. Wenn der Stromverbrauch entscheidend ist, dann sind wir mit unserer FAULHABER Technologie ganz vorne dabei.

 Das sind Erfolgsfaktoren für die Märkte der Zukunft - wir sind FAULHABER!

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