Wie sieht Ihre Bilanz an der Spitze der neu formierten Geschäftsführung von FAULHABER aus?
Das erste Jahr unter der neuen Geschäftsführung war von einer verschärften Situation durch verschiedene makroökonomische und geopolitische Krisen geprägt. Unsere Erfolge und unser Wachstum trotz dieser Krisen sind dem Teamgeist und dem Zusammenhalt aller FAULHABER-Mitarbeiter zu verdanken.
Welche Lehren und Konsequenzen ziehen Sie global betrachtet daraus?
Wir arbeiten an einer breiteren regionalen Aufstellung unserer Lieferanten und gleichzeitig an einer Lokalisierung der Lieferketten in wichtigen geopolitischen Räumen. Zudem betrifft die aktuelle Lage auch die Zusammenarbeit mit unseren Kunden, die global aufgestellt sind. Für sie ergibt sich ein erhöhter Bedarf an regionaler Unterstützung und Expertise. Die globale Zusammenarbeit bringt auf der einen Seite eine erhöhte Erwartung von Transparenz aufseiten des Lieferanten und auf der anderen Seite den vertraulichen Umgang mit Kundendaten und geistigem Eigentum mit sich.
Die Halbleiterpreise sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gefallen. Haben sich daraus Vorteile für das Unternehmen ergeben?
Als technologie- und innovationsgetriebene Firma haben wir über die Jahre am stärksten von der Miniaturisierung und der erweiterten Funktionalität der Elektronik profitiert und weniger von den fallenden Preisen. Wir haben unser Produktprogramm konsequent ausgebaut und sehen die Integration von elektronischen Funktionen und Bauteilen in unsere Produkte und Systemlösungen als einen essenziellen Vorteil für unsere Kunden. Diese Strategie bringt ein erhöhtes Risiko der Abhängigkeit von diesen Bauteilen mit sich.
Welche Erwartungen haben Sie bezüglich der Halbleiterversorgung in der Zukunft?
Im vergangenen Jahr war die Beschaffung von elektronischen Bauteilen unsere zentrale Herausforderung. Wie unsere Kunden und Lieferanten haben auch wir die Hoffnung, dass sich diese Situation im Jahr 2023 verbessert, aber wir haben bisher noch keine ein- deutigen Zeichen einer grundsätzlichen Verbesserung gesehen.
Was ist in Zukunft wichtiger? Um jeden Preis liefern zu können oder Kostenoptimierung?
Wir arbeiten permanent an der Verbesserung unserer Lieferfähigkeit und Kostenstrukturen. Unter regulären Bedingungen kann man nicht sagen, dass der eine oder der andere Faktor wichtiger ist, aber durch die extreme Volatilität im Halbleitermarkt und die zum Teil hohe Inflation mussten wir kurzfristig andere Bewertungskriterien ansetzen. Im Interesse der Lieferfähigkeit mussten wir zum Teil erhebliche Kostensteigerungen hinnehmen.
Wie sorgt FAULHABER für Lieferfähigkeit in Krisenzeiten?
Um in diesen Krisenzeiten lieferfähig zu bleiben, mussten wir zuerst eine noch engere Kommunikation mit unseren Kunden und Lieferanten aufbauen. Wir müssen die Prioritäten und Möglichkeiten von beiden zunächst verstehen, bevor wir unsere Lösungsmaßnahmen entsprechend aufbauen können. Die Problemfälle müssen wir proaktiv angehen und je nach Situation mit flexiblen und anpassbaren Methoden lösen. Das kann im einfachsten, aber sehr kostspieligen Fall erhöhte Materialkosten und auch Bestandsaufbau bedeuten, aber auch erfordern, gemeinsam mit unseren Kunden schnell eine alternative technische Lösung zu entwickeln. In solchen Situationen sind es die Menschen und nicht das ERP-System, die eine Lösung finden.
Was sind zur Zeit die stärksten Wachstumsbranchen?
Medizintechnik und Diagnostik sowie Robotik und Automatisierungstechnik sind aktuell unsere stärksten Wachstumsmärkte. Unsere Produkte und Systemlösungen passen optimal in diese Anwendungsbereiche.
Wo liegen die Besonderheiten im Markt für Medizintechnik?
In der Medizintechnik und Diagnostik ist es unser Anspruch, unseren innovativen Kunden Antriebsplattformen mit erweitertem Funktionsumfang und hoher Leistungsdichte anbieten zu können. Gleichzeitig haben wir durch einfachere und kostenoptimierte Lösungen auch die Möglichkeit, State of the Art Medizin- und Diagnostik-Geräte für einen breiteren Teil unserer Gesellschaft anbieten zu können.
Und was dürfen die Kunden im Bereich der Automatisierung erwarten?
Im Markt Automatisierung geht es bei uns um die Unterstützung unserer Kunden im Hinblick auf die Entwicklung der Prozesse und Materialien der Zukunft und damit auch darum, die Effizienz, Genauigkeit, Produktivität und Effektivität der nächsten Generationen von Maschinen zu sichern.
Können Sie uns das an einem konkreten Beispiel erläutern?
Die Beispiele sind so vielfältig wie auch spannend. Unsere Lösungen werden in Agrarrobotern und im Rahmen des Precision Farming eingesetzt. Beim Precision Farming geht es um eine Reduzierung der Umweltbelastung durch Pestizide und Düngemittel durch eine präzisere Dosierung oder sogar darum, die Umweltbelastung komplett zu vermeiden. Das geschieht durch den Einsatz von Robotern, die die Unkrautvernichtung per Laserstrahl übernehmen. Auch die Verbesserung der Flächennutzung und Ausbringung in Form von Vertical oder Urban Farming spielt hier eine Rolle. Unsere leichten und kompakten Antriebe und Systemlösungen sind in diesen Anwendungen optimal einsetzbar.
Weitere Unterstützung für eine effizientere und umweltschonende Flächen- und Energienutzung liefern wir mit unseren Lösungen für Intralogistikund Lagerlogistikroboter. Wir bieten optimale Antriebsplattformen für sehr kompakte, effiziente und zuverlässige Roboter, die in der Lage sind, Ware auch in immer engeren Räumen schnell zu sortieren und zu verteilen. Ein vielleicht zugänglicheres Beispiel sind unsere Lösungen für Lagersysteme in Apotheken, bei denen vom Apotheker gesteuerte Roboter per Knopfdruck das gewünschte Medikament schnell aus einem sehr kompakten und gegen Diebstahl abgesicherten Lagersystem herausholen.
Für die nachhaltigen Städte der Zukunft sind Inspektions- und Serviceroboter extrem wichtig. Die Infrastruktur soll effizienter und zuverlässiger werden. Unsere Lösungen ermöglichen es unseren Kunden, noch kleinere, effizientere und leistungsstärkere Roboter zu bauen, die sich um die stetige Überwachung und Instandhaltung der für Menschen oft unzugänglichen Infrastruktur in Städten kümmern.