Scharfer Blick in die Netzhaut
Automatisierte Linsenpositionierungseinheit ermöglicht Chirurgen das mühelose Betrachten von Retina und Cornea ohne Halsverrenkungen.
Die Palette der Retina-Eingriffe reicht vom Entfernen eines Teils des Glaskörpers, der den Augapfel ausfüllt, bis zur Behebung von Netzhautablösungen. Bei diesen Eingriffen müssen die Chirurgen verzögerungsfrei zwischen Hornhautsicht (Retina) und Netzhautsicht (Cornea) wechseln können. Hierbei helfen spezielle Augenchirurgie-Betrachtungssysteme, wie das MERLIN der Volk Optical, Inc. aus den USA. Solche Systeme können allerdings die Gesamthöhe des Mikroskopsystems um mehr als zwei Zentimeter vergrößern. Das aber kann den Chirurgen, die nicht selten sechs bis acht Stunden pro Tag operieren, Hals- und Rückenschmerzen bescheren. Als Volk Optical mit der Entwicklung der zweiten, automatisierten Generation seines MERLIN-Systems begann, lautete deshalb die Zielsetzung, die von den Chirurgen geforderten Leistungen mit einem Gerät zu erreichen, das so kompakt wie möglich sein sollte.
Idealerweise würde ein solches Betrachtungssystem ein qualitativ hochwertiges Bild von der Retina liefern, aber zugleich nur ein Minimum an Platz unter dem Mikroskop in Anspruch nehmen und wäre vom Chirurgen mit geringem oder sogar ganz ohne Mehraufwand zu bedienen. Diese Systeme sind typische Zusatzausstattungen von Chirurgie-Standardmikroskopen. Das MERLIN beispielsweise ist zwischen dem unteren Ende des Mikroskops und dem Auge des Patienten angeordnet. Es besteht aus zwei Teilen, nämlich der Linsenpositionierungseinheit (Lens Positioning Unit, LPU), welche die Operationslinse hält, und der Kondensorbaugruppe (Condensing Lens Assembly, CLA), in der ein Kondensor angeordnet ist. Die Operationslinse modifiziert das optische System des Mikroskops so, dass es die Retina abbildet. Der Kondensor verkürzt die Brennweite der Mikroskop-Objektivlinse um ca. 2,5 cm, so dass der Chirurg die LPU in den Strahlengang hinein und wieder heraus bewegen kann, ohne das Mikroskop nach oben und unten bewegen zu müssen. In Kombination ermöglichen es die beiden Komponenten dem Chirurgen, schnell zwischen Hornhautansichten (ohne LPU) und Netzhautansichten (mit LPU) zu wechseln, ohne die Mikroskopeinstellungen ändern zu müssen.
Herkömmliche Betrachtungssysteme werden entweder vollständig manuell bedient oder beinhalten einen Fußschalter, über den der Operateur die Kondensorlinse positionieren muss. Mit Hilfe einer Steuerung und eines Precistep-Mikro-Schrittmotors von FAULHABER erledigt das MERLIN-System diese Aufgabe automatisch, sobald der Chirurg die LPU in Position schwenkt.
Einer der vom Entwicklerteam festgelegten Entwicklungsschwerpunkte lautete, die vom MERLIN-System beanspruchte Einbautiefe möglichst gering zu halten. "Die Ärzte sind sehr sensibel, was die Höhe des Mikroskops über dem Patienten betrifft", weiß Bill Hudgins, Leiter der Volk-Produktentwicklung. "Wenn es nach ihnen geht, sollten wir diesen Parameter möglichst wenig verändern. Um das neue System im bestehenden Gehäuse unterbringen zu können, brauchten wir einen entsprechend kleinen Motor, auf den wir außerdem ein Getriebe aufsetzen konnten, um die von uns benötigten Drehzahl- und Drehmomentwerte zu erreichen. Hier haben uns die Antriebsexperten der FAULHABER-Schwester MICROMO aus den USA ziemlich viel geholfen.
Wegen der Größenbeschränkungen war der Einsatz einer Servomotor-Encoder-Baugruppe nicht machbar. Stattdessen entschied man sich bei Volk für einen 15-mm-Schrittmotor in Kombination mit einer Controller-Einheit. Schrittmotoren verhalten sich naturgemäß hochgradig deterministisch: Ein Befehl, ein Schritt. Der Mikrocontroller ermittelt aus der Richtung und Anzahl der eingegebenen Impulse, wie die Kondensorlinse in den Strahlengang hinein und aus ihm heraus bewegt wird.
Der elektromechanische Entwicklungsprozess verlief nicht ganz geradlinig. Wie sich zeigte, erforderte das Verschieben der Linse mehr Drehmoment als der Mikro-Schrittmotor liefern konnte. Also baute das Team zusätzlich ein Getriebe ein, um aus der Motordrehzahl ein genügendes Drehmoment zu erzeugen, mit dem sich die Linse bewegen ließ.
Das Betrachtungssystem musste in erster Linie die geforderten Leistungen erbringen, aber natürlich auch zuverlässig arbeiten. Ihre Anwender erwarten, dass sie jahrelang störungsfrei funktionieren, so dass sie entsprechend robust aufgebaut sein müssen. Das Getriebe ist mit einer Seilscheibe verbunden und die Linsenhalterung wird über einen Riemenantrieb bewegt. Ein optischer Sensor, der in den Boden der CLA eingebaut ist, erfasst die Position der LPU, und der Controller sendet den entsprechenden Verfahrbefehl an den Schrittmotor.